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2018/02/02

Kettcar - E-Werk Erlangen (24.01.2018)

Kettcar. Eine grenzenlose Liebe. Von 2009 - 2013 hatte ich sie einmal im Jahr live erlebt. Zuletzt im Serenadenhof mit Gästelistenplatz als Dankeschön für das Flyerverteilen am Eingang. Nach dem wirklich großartigen Konzert kam ich zu dem Schluss, dass ich vielleicht doch mal zwei, drei Jahre verstreichen lassen sollte. Das fiel nicht schwer, machten sie doch mehr oder weniger selbst eine Pause. Marcus Wiebusch war solo unterwegs - zumindest ihn sah ich dann auch 2014 beim Visions 25th Anniversary wieder live. 

Viereinhalb Jahre Pause waren nun aber wirklich eine lange, lange Zeit und der Wunsch eine der besten Live-Bands Deutschlands wiederzusehen wurde immer größer: Am 24. Januar 2018 war es endlich soweit. Einen Tag zuvor war Gisbert zu Knyphausen im E-Werk aufgetreten, einen Tag danach hatten sich Gloria angekündigt. Meiner Meinung nach eine ungünstige Terminplanung. So berichtete mein Mann vom Gloria Konzert, dass sich die Künstler zum Teil wohl die Besucher weggenommen hätten. Es kann sich eben nicht jeder leisten in einer Woche zwei oder gar drei Konzerte zu einem Ticketpreis von je 30 Euro zu besuchen. Kettcar blieben davon unbeeindruckt: seit Dezember war das Konzert ausverkauft. 

Pünktlich sollte man sein, hatte das E-Werk auf Facebook empfohlen. Auch wenn das Konzert schon länger ausverkauft war, sah ich dennoch nicht ein, eine Stunde vor Beginn der Vorband da zu sein. Kurz bereute ich meine Entscheidung als ich etwa dreiviertel acht in die Engelstraße einbog und die Menschenschlange sah. Doch ganz ehrlich: Wozu soll ich eine Stunde eher da sein, um mir einen super Platz zu sichern und diesen dann zehn Minuten nach Konzertbeginn wegen Hunger, Durst, schlechter Luft oder anderen Bedürfnissen verlassen zu müssen...

Und so musste ich - wie viele andere -  zunächst damit vorlieb nehmen an den offenen Türen einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Die Dame hinter mir hatte nicht ganz unrecht als sie sagte "Ich verstehe nicht, wie man so viele Leute reinlassen kann." Tatsächlich würde ich mir wünschen für 30 Euro einen Platz im Innenraum zu bekommen, ohne ständig von allen Seiten halb erdrückt zu werden. Aber gut: Ausverkauft ist ausverkauft. 

Der Vorteil, wenn man allein ein Konzert besucht: Man muss sich nicht immer wieder durch die Menschenmassen zurück zu seiner Begleitung drängeln. Nachteil, man hat auch niemanden, der einen mit Getränken versorgt. Und wie bei jedem Konzert nervten auch hier wieder diejenigen, die sich einen Platz mit Blick auf die Bühne sichern - während der Vorband jedoch nur am Tratschen sind. Aber hey, diesmal traute ich mich, zu fragen, ob ich vor darf, um auch etwas von der Musik zu verstehen. So hörte ich das Getratsche immerhin nur noch hinter mir...

Die Vorband Fortuna Ehrenfeld gefiel mir im Vorfeld schon mit Songs wie "Zuweitwegmädchen" und "Hundeherz". Deshalb wollte ich den Anfang auf keinen Fall verpassen. Das lohnte sich! Zunächst schenkte sich der Sänger in aller Seelenruhe Wein aus der Flasche in eine Tasse ein. Dann legte er sich eine Federboa um den Hals und begann nahezu hymnisch mit "Gegen die Vernunft". Ganz ruhig war es auf der Bühne, der Schlagzeuger sang andächtig mit. Ein besonderer Moment. Nach gut 40 Minuten konnten mich Fortuna Ehrenfeld zwar nicht davon überzeugen ein komplettes Konzert von ihnen zu besuchen - die ruhigen Lieder, bei denen die Stimme besonders zur Geltung kam, gefielen mir aber sehr.

In der Umbaupause blieb genug Zeit, um frische Luft zu schnappen. Bis kurz nach neun dann das Licht ausging, die Projektion auf der Leinwand begann und Kettcar die Bühne betraten. Trostbrücke Süd. Die ersten Worte. Gefolgt von den ersten Takten. Mit einem Mal stand ich nicht mehr vor der Tür, sondern kurz hinter der Türschwelle im Innenraum mit Blick auf die Bühne. Und ich war seelig. Wie hatte ich es vermisst, diese Band live zu erleben. Es ist unbeschreiblich, was sie bereits in diesen ersten Sekunden in mir auslösten. 
  
 "Wenn du das Radio ausmachst, wird die scheiß' Musik auch nicht besser."

Erlangen zeigte sich vom ersten Song an wieder textsicher und bereits bei dieser Zeile wirkte es als würde man inmitten eines Chors stehen. Es folgten "Balkon gegenüber" und "Graceland". Es scheint mir nicht möglich meine Gefühle dabei in Worten auszudrücken - kurz: Mein Herz tanzte! Kettcar hatten es wieder mal geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen.

Zwischen den Songs erzählte vor allem Reimer Bustorff von ihrem Tag in Erlangen. Von Briefkästen, in die nur Liebesbriefe rein dürfen und davon, dass er um 12 Uhr sein erstes Dosenbier auf dem Hugenottenplatz geöffnet habe und wusste: Das wird ein guter Abend. Wenige Minuten später erreichte ihn eine MMS aus dem Hamburger Büro, in dem ebenfalls schon fleißig Bier geleert wurde. Schnell klärte Marcus Wiebusch auf: Reimer hatte heute Geburtstag - und so sang der gesamte Saal "Happy Birthday" für ihn.

Über mich selbst erstaunt war ich als ich jedes Lied - bis auf eines vom neuen Album - nach wenigen Sekunden beim Namen nennen konnte. Leider wurden meine Notizen mit der gesamten Setlist im Laufe des Abends verschluckt und im Nachhinein bekomme ich nicht mehr alles zusammen, was gespielt wurde oder zumindest nicht die Reihenfolge. Dabei waren u. a. Wagenburg, Sommer 89, Benzin und Kartoffelchips, Tränengas im High-End-Leben, Kein Außen mehr, Ankunftshalle, Auf den billigen Plätzen, Deiche, Money left to burn... Nett war auch die Videoprojektion, die fast durchgehend lief. Von meiner Position wirkte sie jedoch weniger als vielleicht von einem Platz oben auf der Empore.

In Erinnerung blieb mir auch die Ankündigung der drei Liebeslieder am Stück, die Marcus Wiebusch mit "Emo Rock" betitelte. Gemeint waren: Rettung, 48 Stunden und Balu - wo der Chor hinter mir wieder wunderbar zur Geltung kam. Die Ansage zu "Im Taxi weinen" verpasste ich leider, weil ich es gegen zehn für ein halbes Lied doch kurz bevorzugte noch mal frische Luft zu schnappen. 

Als es auf das Ende zu ging, kündigte Marcus Wiebusch ein Hip Hop Cover an - eine witzige Umschreibung, wenn man bedenkt, dass "Der Tag wird kommen" ein Song aus seinem Soloalbum ist. "Ich danke der Academy" durfte natürlich auch nicht fehlen und noch viel weniger als offiziell letzte Zugabe: "Landungsbrücken raus". Leider wurde hinter mir so schief mitgesungen, dass ich diesen Song nicht so recht genießen konnte und mir sogar die Ohren zu hielt.

Nach drei Zugaben verschwanden Kettcar erneut von der Bühne. Der Applaus hielt an. Und tatsächlich: Kettcar kamen zurück: "Den Revolver entsichern" sollte nun wirklich ein Rausschmeißer sein, sagten sie, und um 22:45 Uhr war dann endgültig Schluss. Reimer bedankte sich sichtlich gerührt: "Danke, das bedeutet mir sehr viel".

Für mich war es ein rundum gelungenes Konzert mit einem nahezu perfekten Querschnitt aus allen fünf Studienalben. Die Akustik passte, die Stimmung auch - nur der ständige Durchgangsverkehr an der Tür nervte. Fazit: nochmal möchte ich keine viereinhalb Jahre bis zum Wiedersehen warten. Vielleicht war diese Zeitspanne aber auch heilsam, um sich wieder überraschen lassen zu können, welches Lied wohl als nächstes komme, welche Klassiker gespielt würden und wie die neuen Songs live wirkten. 

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