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2017/09/03

Gisbert zu Knyphausen - Sparrenburg Bielefeld (20.08.2017)

2 Übernachtungen in der Stadt, die es nicht gibt: 125 Euro. 
2 Pastel de Nata und ein Espresso (fast) wie in Lissabon: 6 Euro. 
1 Sonnenaufgangskonzert auf der Sparrenburg mit Gisbert zu Knyphausen und meinen beiden besten Männern: Unbezahlbar.

Dialog des Tages: "Das sollten wir öfter machen." "Uns morgens um 6 Uhr bei 12 Grad auf die nasse Wiese legen?" Ich sag' ja, ich sag ja, ja, ich will.

Dieser fast schon lyrische Beginn beschreibt sehr passend die besonderen Umstände dieses Konzerts. Mitte April erfuhr ich bereits von dem geplanten Sonnenaufgangskonzert von Gisbert zu Knyphausen auf der Sparrenburg in Bielefeld. Der erste Gedanke war: "Da muss ich hin." Doch schnell meldete sich die Vernunft zu Wort: Die Distanz zwischen Bielefeld und Fürth war einfach zu groß, niemand schien so verrückt wie ich eine nächtliche Tour in Erwägung zu ziehen. Dennoch rief ich immer wieder die Website des Veranstalters auf, und überlegte wie es doch realisierbar wäre.

Laut dem Veranstalter "Bunker Ulmenwall" war der Eintritt kostenlos, jedoch dürfe nur einer begrenzten Personenanzahl Einlass gewährt werden. Um sich Zugang zum Konzert zu sichern, hatte jeder - ob Einwohner von Bielefeld oder nicht - die Möglichkeit an einer Verlosung teilzunehmen. Am 10. Juli 2017 wurde das Formular freigeschaltet und was soll ich sagen: Ja, natürlich habe ich mich registriert. Denn ich hatte einen Deal mit meinem Mann ausgemacht: Würde das Auswärtsspiel seines Heimatvereins auf einen Freitag oder Samstag gelegt werden und wir Karten für das Sonnenaufgangskonzert gewinnen, dann würden wir ein Wochenende in Bielefeld verbringen. Sollte einer dieser Faktoren nicht zutreffen, so würden wir Zuhause bleiben. 

Bald war klar: Der FSV Zwickau würde am Freitag gegen Meppen spielen. Immer wieder aktualisierte ich die Website des Bunker Ulmenwall, um herauszufinden, ob die Gewinner schon benachrichtigt wurden. 9 Tage vor dem Konzert öffnete ich mein E-Mail-Postfach und siehe da:

LIEBER FRÜHAUFSTEHER, NACHTSCHWÄRMER ODER SONNENTÄNZER!

Du hast zwei Freitickets für das Sonnenaufgangskonzert mit Gisbert zu Knyphausen am 20. August 2017 auf der Sparrenburg Bielefeld gewonnen und erhältst freien Eintritt zur Veranstaltung!

Was für ein Glück. Auf der Facebookseite wurde dann noch weiter kommuniziert, dass kein - wie ursprünglich geplant - spontaner Einlass gewährt werden könne, da die Nachfrage zu groß war. Diese Änderung der "Spielregeln" führte bei vielen Fans zu großer Enttäuschung. Doch ganz ehrlich: Wenn ich fest eingeplant habe nach Bielefeld zu fahren, weil ich unbedingt zu diesem Konzert auf der Sparrenburg möchte, dann nehme ich wenigstens an der Verlosung teil, um die Chance auf einen sicheren Einlass zu haben. Für mich ist die Sicherheits-Entscheidung der Veranstalter angesichts der Nachfrage von über 1500 Besuchern absolut nachvollziehbar.

Auch unabhängig vom Konzert hat sich das Wochenende in Bielefeld mehr als gelohnt: Am Freitag hatte ich Gelegenheit, Freunde vom Studium nach über drei Jahren im Nichtschwimmer wiederzusehen. Samstag schlenderten wir gemütlich über den Wochenmarkt, kamen an der Geniale am Rathaus vorbei und tranken leckeren Kaffee im Coffee Store. Um 13 Uhr konnten wir dann unsere Freitickets am Bunker Ulmenwall abholen, denn nur damit würden wir Zutritt erhalten. Meiner Meinung nach war das wunderbar organisiert: An 4 Tagen hatten die Gewinner zu arbeitnehmerfreundlichen Zeiten die Möglichkeit die Tickets abzuholen, wodurch der Einlass Sonntag früh relativ flüssig voran ging.

Aus der Innenstadt liefen wir durch den Wald in den Heimat-Tierpark Olderdissen. Ein Angebot für die ganze Familie - unabhängig vom Geldbeutel, denn im Gegensatz zu anderen Tiergärten ist der Eintritt hier kostenlos. Wir verbrachten die meiste Zeit mit unserem Wirbelwind und Freunden aus Dortmund am Spielplatz. Ein paar Tiere konnten wir auch beobachten, besonders die Ziegen ließen sich im Streichelzoo sehr geduldig von unserem Sohn nach seiner Regel "Eins nach dem anderen" füttern. Zurück in die Stadt ging es mit dem Bus, wo wir glücklicherweise in der Kartoffelbar landeten. Dort schien grad eine Familienfeier stattzufinden, und unser Zweijähriger mischte sofort in der Spielecke bei den anderen Kindern mit, sodass wir recht entspannt zu Abend essen konnten. Zum Abschluss suchten wir vor dem Regen noch Zuflucht im Café Alfama wo uns der Chef persönlich warme Pastel de Nata servierte und unser Sohn durch das Restaurant tanzte.

Viel später als geplant, landeten wir im Bett im Charly's House, schliefen unruhig - ich aus Angst zu verschlafen, mein Mann vielleicht eher aus Angst ich würde es nicht tun. Ja, so wirklich konnte ich ihn bisher noch nicht von der Musik überzeugen. Dennoch standen wir beide bereitwillig auf als kurz vor fünf der Wecker klingelte. Mein Sohn durfte noch ein bisschen in der Trage vor sich hin schlummern, während wir uns auf den etwa halbstündigen Weg zur Sparrenburg machten. Als wir den Niederwall entlang liefen, war er dann plötzlich da, dieser magische Moment: Gisbert's unverwechselbare Stimme erklang mitten durch die Dunkelheit von der Sparrenburg hinunter zur menschenleeren Hauptstraße - wie im Traum lauschten meine Ohren dem Soundcheck.

Nach dem nächtlichen Spaziergang auf die Sparrenburg - meine Kondition wurde selten so früh am morgen auf die Probe gestellt - gesellten wir uns pünktlich halb sechs zu der Menschenschlange vor dem Einlass. An dieser Stelle nun tatsächlich ein Kritikpunkt an die Organisation. Bestimmt gibt es eine nachvollziehbare Erklärung für die Verzögerung, doch ganz ehrlich: Den Einlass um 05:30 Uhr ankündigen, den Beginn um 6 Uhr und die Leute dann über eine halbe Stunde vor der Tür warten lassen - ist um diese Uhrzeit echt nicht witzig. Hätte man doch gut eine halbe Stunde versuchen können länger zu schlafen, wenn man gewusst hätte, dass das Konzert sogar erst halb sieben beginnt. Restkarten, die nicht abgeholt wurden, waren an einem kleinen Zelt neben dem Einlass auch noch verfügbar, sodass letztendlich doch noch wenige Spontanbesucher die Chance hatten dabei zu sein, und die vorgeschriebene Kapazität der Stadt Bielefeld bis auf den letzten Platz ausgefüllt wurde.

Und dann saßen wir da. Auf unseren Picknickdecken. In der Kälte, leider nicht warm genug angezogen, nicht gut genug mit Decken ausgestattet, dafür mit Muffin und Kaffee in der Hand. Am 20. August hätte man sich wahrlich einen wärmeren Sonnenaufgang ausgemalt, doch von dem Moment an als Gisbert zu Knyphausen die kleine Bühne betrat, konnte ich die Kälte für knapp eineinhalb Stunden ein wenig vergessen. "Mein Name ist Gisbert zu Knyphausen." Wenn ich nur seine Stimme - ungekünstelt und bescheiden - höre, wird mir schon ganz warm ums Herz. Wenn er dann noch beginnt auf seiner Gitarre zu spielen und diese berührenden Texte zu singen, die einfach nur unter die Haut gehen, ist es ganz um mich geschehen. Beeindruckend hat mich an diesem Sonntagmorgen noch jemand: Karl Ivar Refseth begleitete Gisbert am Vibraphon und verlieh den mir bekannten Liedern - insbesondere Dreh dich nicht um - auf diese Weise einen neu- und einzigartigen Klang.

Zwischen den Liedern erzählte Gisbert nicht viel, jedoch mehr als ich von den vergangenen Konzerten gewohnt war. Er kommentierte das Wetter ("Jetzt fängt es auch noch an zu regnen. So eine Scheiße. Wo ist der Sonnenaufgang, der mir versprochen wurde?"), seine Textpatzer ("Vorhin war ich noch so wach.") und seine Liedauswahl ("Zwei Trennungslieder hintereinander..."). Neben seinen eigenen Songs sang er drei Lieder, die er zusammen mit Nils Koppruch als Kid Kopphausen veröffentlicht hatte. Bei Das Leichteste der Welt war ich gespannt wie er solo am Ende das Schlagzeug und den Bass erzeugen würde, wartete darauf, dass der Vibraphonist wieder dazu kommen würde - aber nein, Gisbert hat die verschiedenen Instrumente genial mit seiner Gitarre imitieren können, und sang noch eine Strophe auf Englisch, aus der ich nicht raus hörte, ob es sich um ein Cover handelte. Einen eigenen Song auf Englisch bot er mit Teheran ebenfalls dar - diesen hatte er im Zuge seiner Reise mit dem Goethe Institut geschrieben. Mit Durchreise coverte er einen Song von Nils Koppruch, der im Oktober 2012 verstorben ist. 

Viel zu früh kündigte er den letzten Song an. Auch wenn noch Zugaben folgten, war es mir persönlich ein zu kurzer Querschnitt durch seine drei eigenen Alben und das von Kid Kopphausen. Aber hey - mal unabhängig von den Kilometern, die wir zurückgelegt hatten und den dadurch entstandenen Kosten - der Eintritt war frei und somit erlebten wir definitiv ein unbezahlbares Konzert. Auf Tour hätte ich wohl schon den Anspruch, einige mehr Lieder aus den ersten Alben zu hören. Gleichzeitig bin ich neugierig auf das dritte Album, das Ende Oktober veröffentlicht wird. Denn besonders beim letzten Lied über einen Mittwoch kurz vor dem Herbst, kam wieder durch, was ich an Gisbert so schätze: Er schafft es mich mit seinen Worten voller Poesie auf eine Reise zu nehmen - zu den tiefgründigen Geschichten, die er erzählt.

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